Tiger und Testosteron

Testosteron – was bewirkt es und ist es wirklich so böse?

Testosteron gilt als das Männerhormon schlechthin. Allerdings hat es aktuell keinen besonders guten Ruf. Wenn Östrogen eine jener aktuell so angesagten Superheldinnen ist, dann ist Testosteron der Bösewicht aus einem 50er-Jahre-Western. Angeblich macht es gewalttätig und zerstörerisch, während Östrogen als liebevoll gilt und außerdem noch das verbale Gedächtnis und die Knochendichte stärkt. Trotzdem suchen viele Männer im Internet nach Testosteronpräparaten. Anfragen wie „Wer verschreibt Testosteron“ und „Wann Testosteron Booster nehmen“ stehen dabei an der Spitze. Was ist daran und wie böse ist das Hormon wirklich?

Ist Testosteron wirklich ein Männerhormon?

Die Vorstellung von Testosteron als Männerhormon ist teilweise richtig – teilweise aber auch falsch. Grundsätzlich haben sowohl Frauen als auch Männer Östrogen und Testosteron im Körper. Beide Hormone unterscheiden sich auch kaum in ihrer Zusammensetzung, der Körper kann beispielsweise sehr einfach Testosteron in Östrogen umwandeln.

Allerdings haben Männer – vor allem in jungen Jahren – mehr Testosteron, Frauen mehr Östrogen. Das kann sich mit den Jahren ändern. Teilweise haben Frauen nach der Monopause sogar weniger Östrogen im Körper als ihre Ehemänner. Der Journalist Michael Eichhammer und der Therapeut Peter Thiel kommen deshalb zu dem Ergebnis: „Der kleine Unterschied ist noch viel kleiner, als wir dachten!“1

Was ist dran an der Geschichte vom bösen Testosteron?

Testosteron werden viele negative Eigenschaften nachgesagt. Der Schauspieler Ben Affleck mutmaßt beispielsweise, dass es schuld sei, dass Männer stärker als Frauen an Narzissmus leiden. Was allerdings schon insofern falsch ist, dass Narzissmus bei beiden Geschlechtern ähnlich häufig vorkommt.2

Das Misstrauen gegenüber Testosteron hat eine lange Geschichte, ebenso seine Überhöhung. Der britische Geheimdienst wollte angeblich Adolf Hitler milder stimmen, indem Östrogen in sein Essen gegeben werden sollte. Und bis heute glauben viele Menschen, das Testosteron gewalttätig macht (und außerdem noch viele andere schlimme Sachen).

Testosteron bekommt von uns sehr gemischte Signale: Manchmal ist es das Königshormon, der Ursprung aller Männlichkeit, und wir lassen uns die Anzahl der Eier im Ritterwappen verewigen. Im Nächsten Moment ist es die Wurzel allen Übels und mindestens ein Grund, warum es mit dem Weltfrieden so lange dauert.

Franca Parianen in „Hormongesteuert ist immerhin auch selbstbestimmt“, Seite 516

Funktioniert hätte der „Anschlag“ aber sicher nicht. Die Neurowissenschaftlerin Franca Parianen kommt zu dem Ergebnis, dass zu viel Testosteron wohl eher nicht Hitlers Problem gewesen sei.3 Tatsächlich weiß man aus den Unterlagen des Gefängnisarztes in Landsberg, dass Hitler nur einen Hoden hatte.4.

Auch Donald Trump scheint übrigens nicht an Testosteron-Überversorgung zu leiden, wie Franca Parianen schreibt soll er ein Mittel gegen Haarausfall benutzen, dass den Testosteronspiegel senkt.

Testosteron macht nicht gewalttätig

Der Neurowissenschaftler Robert Sapolsky hält die These vom bösen Testosteron deshalb auch für Unsinn.5 Allerdings erhöht das Hormon offenbar die Dominanzorientierung. Das kann zu Aggression führen, wenn die mit Dominanz belohnt wird. Es ist also, wie so oft bei den Fragen nach der Biologie des menschlichen Verhaltens, ganz schön kompliziert. Oder wie Sapolsky schreibt: Entscheidend ist Kontext, Kontext, Kontext.

Östrogen schützt offenbar das Herz

Tatsächlich scheint es aber eine paar Bereiche zu geben, wo Östrogen tatsächlich das freundlichere Hormon ist. Beispielsweise gibt es Hinweise darauf, dass die geringere Anfälligkeit von Frauen für Herzkrankheiten eine Folge von Östrogen ist. Tatsächlich holen die Frauen nach Beginn der Menopause bei Herzerkrankungen auf.

Die mittlerweile oft verbreitete Legende, Frauen seien sogar häufiger von Herzerkrankungen betroffen ist allerdings Ergebnis einer Fehlinterpretation (sogenanntes „Simpson-Paradoxon“). Tatsächlich sterben mehr Frauen an Herz-/Kreislauferkrankungen. Aber nicht, weil sie anfälliger dafür wären, sondern weil viele Todesfälle, die wir umgangssprachlich als „Altersschwäche“ bezeichnen offiziell als Folge einer Herz- und Kreislaufschwäche erfasst werden. Bei gleichem Alter sind Männer häufiger betroffen.

Leider scheint diese Wirkung bei Männern nicht zu funktionieren. Beispielweise bildet Fettgewebe Östrogen, weshalb dicke Männer einen besonders hohen Östrogenspiegel haben. Anders dagegen beim Haarausfall, hier scheint weniger Testosteron tatsächlich zu funktionieren.

Was macht Testosteron eigentlich den ganzen Tag?

Aber es würde das Hormon Testosteron wohl nicht geben, wenn es keinen evolutionären Nutzen hätte. Natürlich, es initiiert die Ausbildung von männlichen Geschlechtsmerkmalen im Körper, aber das hätte man vermutlich auch ohne Nebenwirkungen hinbekommen können.

Allerdings fördert es auch den Muskelaufbau und erhöht das Interesse an Sex. Letzteres tut übrigens auch Östrogen. Auch die Differenzierung wird durch Testosteron gefördert, also die Spezialisierung der einzelnen Zellen.

Testosteron ist also nicht böse, aber es ist auch kein Wundermittel bei dem gilt: je mehr, desto besser. Stattdessen definieren die Ärzte einen Referenzbereich.

Testosteron Referenzbereich

Bei gesunden Erwachsenen beträgt der Referenzbereich für Testosteron:6

  • Bei Männern: 10,4 – 41,6 nmol/l (300 – 1.200 ng/dl)
  • Bei Frauen: 0,7 – 2,6 nmol/l (20 – 75 ng/dl)

Allerdings schwant der Testosteronspiegel über den Tag, er ist morgens höher und erreicht am Nachmittag einen Tiefpunkt. Die Grenzwerte orientieren sich am Testosteronhoch, daher sollte der Arzt das Testosteron morgens bestimmen.

Echter Testosteronmangel ist selten

Echter Testosteronmangel ist selten. Sport kann dann helfen, den Testosteronspiegel zu heben. Das ist auch für den Muskelaufbau besser als Testosteronpräparate. Ohnehin finden Frauen zwar muskulöse Männer attraktiver, Muskelberge aber nicht zwangsläufig.

Auch ein sinkendes Interesse an Sex werden beispielsweise gar nicht alle Männer schlimm finden. Wer ohnehin Single ist, tut sich keinen Gefallen mit mehr Lust auf Sex. Auch ein höheres Dominanzstreben bedeutet vor allem Stress.

Kritisch wird es natürlich, wenn die Partnerin unzufrieden ist, weil es in der Beziehung nicht klappt – und ein Testosteronmangel tatsächlich der Grund ist. Meist liegt das aber ohnehin an anderen Faktoren, beispielsweise zu viel Stress oder einer Depression. Ein Arzt kann den Testosteronspiegel bestimmen. Wobei der Spiegel morgens gemessen werden muss, Abends ist er fast immer niedriger. Wenn der Testosteronspiegel dann viel zu niedrig liegt, wird er eventuell Tabletten beschreiben. Das ist aber nur selten der beste Weg, in den meisten Fällen heißt es einfach: Finger weg von Testosteronpräparaten, die brauch Mann meistens nicht. Schon gar nicht ohne Beratung durch einen Facharzt.

Fragen und Antworten zu Testosteron

Was soll ich gegen einen zu niedrigen Testosteronspiegel machen?

Ein Arzt kann den Testosteron-Spiegel bestimmen. Ist der wirklich zu niedrig, kann mehr Sport helfen. Die Finger sollte man von Testosteronpräparaten aus dubiosen Quellen lassen und Tabletten nur nach ärztlicher Anweisung nehmen. Meist sind diese nicht notwendig.

Ist mein Testosteronspiegel zu niedrig?

Generell sinkt der Testosteronspiegel im Tagesverlauf. Auch wer eine feste Partnerin oder gar Kinder hat, hat weniger Testosteron. Dass muss nicht schlecht sein, alles zwischen 10,4 – 41,6 nmol/l ist bei Männern normal. Ein Arzt kann die genauen Werte bestimmen.

Welche Testosteronwerte sind normal?

Bei Männern sind Werte von 10,4 – 41,6 nmol/l normal, bei Frauen Werte von 0,7 – 2,6 nmol/l. Allerdings schwankt der Spiegel über den Tag und die Lebensabschnitte.

Wieso macht Testosteron aggressiv?

Testosteron macht nicht direkt gewalttätig. Es erhöht die Dominanzorientierung, was zu Gewalt führen, aber auch soziales Verhalten erhöhen kann. Welche Auswirkungen es hat, hängt von den Rahmenbedingungen ab.

Wann Testosteron nehmen?

Im Regelfall müssen Männer kein Testosteron nehmen. Auf jeden Fall sollte man die Finger davon lassen, wenn es nicht ein Arzt ausdrücklich verordnet hat.
  1. Eichhammer, Michael und Thiel, Peter: Der verletzte Mann, München 2013
  2. Malkin, Craig: Rethinking Narcissism, New York 2015 – Dort findet sich auch das Zitat von Ben Affleck
  3. Parianen, Franca: Hormongesteuert ist immerhin selbstbestimmt, Hamburg 2020
  4. Hoden-Diagnose: Neue Ansichten zu Hitlers Sextrieb – WELT
  5. Sapolsky, Robert: Gewalt und Mitgefühl – Die Biologie des menschlichen Verhaltens, München 2017
  6. Nach DocCheck

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