Männer beim Sport

Studie säht Zweifel an der These vom aggressiven Mann

Männer gelten seit Jahrhunderten als das aggressive Geschlecht, Frauen dagegen als sanft und überwiegend freundlich. Die Emanzipation der Frauen hat diesem Bild keinen Abbruch getan, im Gegenteil. Gab es in alten Märchen noch die böse Hexe oder die kalte Stiefmutter, so ist die Debatte der vergangenen Jahre vor allem von männlichen Tätern und weiblichen Opfern geprägt. Das gilt nicht nur für physische Gewalt, sondern auch für Online-Mobbing. Doch eine neue Studie legt nahe, dass Frauen genauso aggressiv sind wie Männer. Online übertreffen sie die Männer teilweise sogar.

Aggression ist nicht nur körperlich

Ein Teil des Bildes vom aggressiven Mann geht sicher darauf zurück, dass Aggression überwiegend mit körperlicher Gewalt gleichgesetzt wird. Ein Missverständnis, wie die Wissenschaftlerin Phil Reed, Professorin an der walisischen Swansea University, feststellt.

Aggression ist nicht mit körperlicher Gewalt zu verwechseln; nicht jede körperliche Gewalt ist Aggression (manche ist Selbstverteidigung), und nicht jede Aggression ist körperlich gewalttätig. Tatsächlich gibt es drei Arten von Aggression: direkte körperliche Aggression, direkte verbale Aggression und indirekte Aggression, die oft mit der Manipulation anderer einhergeht.

Phil Reed D.Phil. in Psychology Today, Übersetzung von mir und DeepL.

Tatsächlich sind Männer häufiger die Täter bei physischer Gewalt. Doch schon lange gab es Zweifel, ob Frauen wirklich weniger aggressiv sind als Männer. So wurde darauf verwiesen, dass bei Frauen Tratsch auch eine aggressive Komponente hat, wenn etwa hinter dem Rücken eines Mädchens über sie gelästert wird. Es gibt sogar Theorien, die damit erklären wollen, warum Frauen häufig gemeinsam auf die Toilette gehen. So soll verhindert werden, dass die anderen Teilnehmerinnen der Gruppe über die Abwesende lästern. Wie zutreffend die Theorie ist, kann ich nicht beurteilen, allerdings zeigt die neuere Forschung, dass Frauen durchaus aggressiv sein können. Auch die These, dass Testosteron aggressiv mache, gilt mittlerweile als widerlegt. Stattdessen erhöht das Hormon die Dominanzorientierung, zu Aggression führt es nur in einem Umfeld, in dem Aggression mit Dominanz belohnt wird.

Cyberaggression geht häufig von Frauen aus

Frauen scheinen sich vor allem der dritten von Reed genannten Aggression zu bedienen, der indirekten. Gleich mehrere Studien haben gezeigt, dass Cyberaggression häufig von Frauen in höherem Maße ausgeht als von Männern.1 Das widerspricht dem bisherigen Narrativ, dass auch Online-Gewalt überwiegend ein männliches Phänomen sei.

Allerdings äußert sich weibliche Aggression oft anders. So dienen Selfies von Frauen einer Studie2 zufolge häufig der „aggressiven Einschüchterung“ anderer Mädchen und Frauen. Männer dagegen hatten ein breiteres Spektrum an Gründen für das Veröffentlichen von Fotos von sich selbst. Kein Wunder, dass Frauen, die als Selbstdarstellungsstrategie vor allem aggressive Einschüchterung nutzen, besonders viele Selfies posten.3 Überhaupt scheint es einen starken Zusammenhang zwischen der Zahl der Selfies einerseits und Aggression und Narzissmus andererseits zu geben, was vermutlich viele Menschen nicht überrascht.4

Wie weibliche Aggression aussehen kann

„Abgesehen von häuslicher Gewalt und körperlicher Gewalt haben Frauen ein höheres Maß an verbaler und indirekter Aggression entwickelt als Männer“, schreibt Phil Reed. Zwar ist der Anteil von Männern an den Opfern häuslicher Gewalt mit rund einem Drittel deutlich höher als von vielen erwartet, allerdings sind sie dennoch in der Minderheit, zumal Frauen stärker von wiederholter und sehr schwerwiegender Gewalt betroffen zu sein scheinen. Außerdem werden männliche Opfer häuslicher Gewalt nicht immer das Opfer von Frauen, sondern teilweise auch anderer Männer. Doch das bedeutet offenbar nicht, dass Frauen friedliebender sind, sondern nur, dass sie ihre Aggression anders ausleben.

Bild von N. Sripirom auf Pixabay

„Mädchen und weibliche Jugendliche nutzen verbale und indirekte Aggression (soziale Manipulation, um einem Ziel zu schaden) häufiger als Jungen“, schreibt Reed in ihrem Beitrag für Psychology Today. Dies geschehe häufig durch böswilligen Klatsch oder durch die Manipulation sozialer Netzwerke, um den sozialen Status der Zielperson zu verringern. 5 Das scheint auch für die Online-Welt zu gelten.

Kulturelle Einflüsse spielen eine Rolle

Wenig überraschend ist, dass auch kulturelle Einflüsse eine Rolle spielen. Ich habe ja bereits erwähnt, dass die Frage, ob viel Testosteron zu Gewalt führt, vom Umfeld abhängig ist. Auch andere Studien deuten darauf hin, dass gesellschaftliche Erwartungen eine große Rolle spielen. Ist ein Mann, der sich auch mal prügelt damit „ein echter Mann“ oder ein Versager, der sich nicht im Griff hat. Und ist eine offen aggressive Frau „vermännlicht“ oder selbstbewusst? Solche Fragen habe ebenfalls einen Einfluss darauf, wie Aggression ausgelebt wird. Wird sie direkt zum Ausdruck gebracht oder indirekt? Da Menschen soziale Wesen sind, wäre es auch sonderbar, wenn es nicht so wäre. Das Bild vom aggressiven Mann und der freundlichen Frau scheint aber falsch. Was nicht heißt, dass deshalb das Gegenteil richtig wäre.

  1. Reed, P., & Saunders, J. (2020). Sex differences in online assertive self-presentation strategies. Personality and Individual Differences166, 110214; außerdem Galbraith, L., Reed, P., & Saunders, J. (2023). Intimidatory assertive self-presentation in selfie posting is greater in females than males. The Journal of Social Media in Society; zusätzlich Wright, M.F. (2020). The role of technologies, behaviors, gender, and gender stereotype traits in adolescents’ cyber aggression. Journal of Interpersonal Violence35(7-8), 1719-1738. und Stuart, J., & Kurek, A. (2019). Looking hot in selfies: Narcissistic beginnings, aggressive outcomes?. International Journal of Behavioral Development43(6), 500-506.
  2. Reed, P., & Saunders, J. (2020). Sex differences in online assertive self-presentation strategies. Personality and Individual Differences166, 110214
  3. Galbraith, L., Reed, P., & Saunders, J. (2023). Intimidatory assertive self-presentation in selfie posting is greater in females than males. The Journal of Social Media in Society
  4. Stuart, J., & Kurek, A. (2019). Looking hot in selfies: Narcissistic beginnings, aggressive outcomes?. International Journal of Behavioral Development43(6), 500-506.
  5. Björkqvist, K. Lagerspetz, K.M.J., & Kaukiainen, A. (1992). Do girls manipulate and boys fight? Developmental trends in regard to direct and indirect aggression. Aggressive Behavior18, 117-127

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