Noise Kahneman Rezension: Sind die Massen dumm oder schlau?

Sind die Massen dumm oder schlau? Diese Frage beschäftigt die Sozialpsychologen seit Langem. Sollen viele Menschen die Länge eines Strichs schätzen, dann erhält man eine ziemlich gute Schätzung, wenn man den Mittelwert aller Ergebnisse nimmt. Umgekehrt lassen sich Menschen leicht in die Irre führen, wenn die Masse eine andere Meinung hat. In einem Experiment wurden den Teilnehmenden zwei verschiedene Linien gezeigt, von denen eine klar länger war. Allerdings war nur eine Person wirklich das Versuchskaninchen, die anderen waren Teil der Forschungsgruppe und hatten die Aufgabe, die kürzere Linie als die längere zu bezeichnen. Sehr viele Menschen schlossen sich der Mehrheitsmeinung an und glaubten ihren Fehler auch dann nicht, als sie über das Experiment aufgeklärt worden waren.

Das neue Buch vom Autor von „Schnelles Denken, langsames Denken“

Das Thema Massen ist nur eines in Kahnemanns neuem Buch „Noise“, das er zusammen mit Olivier Sibony und Cass R. Sunstein geschrieben hat. Noise bedeutet in diesem Kontext so viel wie Rauschen. Im Buch wird es allerdings nicht übersetzt, hier ist immer nur von Noise die Rede.

In „Schnelles Denken, langsames Denken“ hatte sich Kahnemann überwiegend mit unserer Neigung auseinandergesetzt, aufgrund von groben Daumenregeln (Heuristiken genannt) Entscheidungen zu treffen. Im neuen Buch geht es ihm vorwiegend darum, wie scheinbar zufällige Unterschiede Urteile, Gehälter und Noten beeinflusst. Kahnemann selbst spricht von Bias und Noise.

Zum Thema Bias gehört es, wenn Männer höhere Gefängnisstrafen für die gleiche Tat erhalten als Frauen. In die Kategorie Rauschen gehört dagegen der Umstand, dass Richter A und Richterin B die gleiche Tat ganz anders beurteilen. Wie lange Person C für ihre Tat deshalb im Gefängnis landet, ist davon abhängig, wer den Prozess übernimmt.

Vieles kommt einem bei Noise von Kahnemann bekannt vor

Trotzdem kommt einem vieles von dem, was hier erzählt wird, recht bekannt vor. Als Quelle von Rauschen tauchen beispielsweise im Kapitel 13 die bekannten Heuristiken wieder auf. Etwas mehr als „Schnelles Denken, langsames Denken“ befasst sich dieses Buch auch mit dem Thema, was man gegen solche Verzerrungen tun kann.

Es wurde viel spekuliert, warum das Buch nicht annähernd so erfolgreich ist wie sein Vorgänger. In meinen Augen liegt es zum großen Teil daran, dass vieles einem so bekannt vorkommt.

Wie Gruppen das Rauschen verstärken

Spannend ist das Thema „Wie Gruppen Noise verstärken“. Hier geht es um die am Anfang gestellte Frage: Sind Gruppen dumm oder sehr weise? Die Antwort ist wenig überraschend, sie wird am oben beschriebenen Beispiel schon deutlich. Wenn Entscheidungen individuell getroffen werden, ist der Mittelwert oft ein gutes Maß, denn die Ergebnisse sind oft (nicht immer) in beide Richtungen verzerrt. Entscheidet dagegen die Gruppe kollektiv, setzen sich oft die lautesten durch und große Teile marschieren einfach mit.

Unterm Strich ein Buch, das man nicht unbedingt lesen muss. Wer sich aber für das Thema sehr interessiert, macht damit auch nichts falsch. Das Buch gibt es mittlerweile auch in deutscher Sprache, es ist allerdings deutlich teurer als auf Englisch.

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