Bild eines Soldatenfriedhofs

Doomscrolling bei Männern – ein unterschätztes Problem

Die Nachrichten sind aktuell nicht gut. Das verstärkt ein lang bekanntes Problem, das Doomscrolling, also den exzessiven Konsum schlechter Nachrichten. Hinter dieser Bezeichnung verbirgt sich kein harmloses Hobby, sondern eine Verhaltensweise, die eine Reihe negativer Folgen für die Betroffenen und ihr Umfeld haben kann. Männer sind davon besonders betroffen.

Was ist Doomscrolling?

„Doomscrolling bezieht sich auf eine besondere Mediengewohnheit, bei der Nutzer sozialer Medien ständig negative Informationen über Krisen, Katastrophen und Tragödien in ihren Newsfeeds verfolgen.“ So definiert eine neue US-Studie das Phänomen.1

Die Betroffenen suchen also gezielt schlechte Nachrichten, etwa über den Krieg in der Ukraine. Aber nicht aus Interesse an dem Thema an sich, etwa weil sie Angehörige dort haben, sondern aus einer Art Sucht nach schlechten Nachrichten heraus.

Der Name selbst setzt sich zusammen aus scrolling für scrollen oder blättern und Doom für (Welt-) Untergang, Verderben oder Schicksal (es war auch der Name eines der ersten erfolgreichen Ego-Shooter für den PC).

Und ich sah, und siehe, ein fahles Pferd. Und der darauf saß, des Name hieß Tod, und die Hölle folgte ihm nach. Und ihnen ward Macht gegeben, zu töten das vierte Teil auf der Erde mit dem Schwert und Hunger und mit dem Tod und durch die Tiere auf Erden.

Die Apokalypse in der Offenbarung des Johannes, Kapitel 6, Vers 8

Kein harmloses Laster

Der Nervenkitzel aufgrund schlechter Nachrichten ist nichts Neues. Man denke an den Voyeurismus bei Unfällen oder Verbrechen. Doch das exzessive Konsumieren schlechter Nachrichten ist kein harmloses Laster. Es wird befürchtet, dass es verstärkt zu Angst führt, möglicherweise auch zu Misstrauen und Aggression.

Marschierende Soldaten als Beispielbild zum Thema Doomscrolling
Einige Menschen suchen gezielt nach schlechten Nachrichten, etwa über Kriege. Das wird Doomscrolling genannt.

Tatsächlich ist schon länger bekannt, dass zunehmende Mediennutzung und Angst zusammenhängen. Die gemessene Angst steigt mit der Mediennutzung zunächst leicht an, bei sehr hoher Mediennutzung sogar deutlich. Allerdings ist nicht ganz klar, ob ängstliche Menschen Medien stärker nutzen oder die Mediennutzung Angst verursacht. Möglicherweise spielt beides eine Rolle.

Männer besonders betroffen

Männer sind neben jüngeren und politisch interessieren Menschen vom Doomscrolling besonders betroffen, wie die oben zitierte Studie aus den USA zeigt. Sie beschränkt sich auf News-Feeds in sozialen Netzwerken, doch die meisten Erkenntnisse dürften auch für das gezielte Lesen von schlechten Nachrichten in Online-Portalen und Zeitungen gelten. Die politische Ausrichtung hat dagegen keinen Effekt auf das Phänomen. Woran das liegt, ist unklar, allerdings wird auch hier ein evolutionärer Hintergrund vermutet. Für Menschen ist es grundsätzlich wichtig, sich mit Gefahren rechtzeitig auseinanderzusetzen.

Die Fokussierung auf negative Informationen kann sich nachteilig auf das körperliche und geistige Wohlbefinden auswirken, wird aber möglicherweise aufgrund eines geringen oder bedrohten Wohlbefindens angestrebt.

Aus der Studie The Dark at the End of the Tunnel: Doomscrolling on Social Media Newsfeeds

Das würde auch erklären, warum oft einzelne Ereignisse wie Schießereien oder die COVID-19-Pandemie den Anstoß für Doomscrolling geben. Ist die Lage bedrohlich, sollte man sich mit der Gefahr befassen. Auch die besondere Betroffenheit von Männern würde damit einen Sinn ergeben. Die Abwehr von äußeren Feinden und wilden Tieren war vor allem ihr Metier.

Was tun?

Immer mehr Menschen konsumieren als Folge gar keine aktuellen Nachrichten mehr. Das ist allerdings oft übertrieben, es geht auch in kleineren Schritten:

Quellen auswählen:

Boulevard-Zeitungen und vor allem soziale Netzwerke wie Twitter sind besonders gefährlich. Die dort übliche Verkürzung sorgt für Überspitzung. Auch Meinungskanäle auf YouTube oder als Podcast sind nicht gut. Sie leben meistens von der Zuspitzung – und dafür ist ein bisschen Doom eine gute Zutat. Besser ist es, das Angebot einer klassischen Zeitung zu nutzen (ich habe mir erlaubt, dazu passend einen Affiliate-Banner für welt.de reinzukopieren. Ich bekomme Geld für jeden Kauf und freue mich deshalb, wenn Ihr ihn nutzt).

Distanz bewahren:

Auch seriöse Zeitungen lieben schlechte Nachrichten, das sollte man sich bewusst machen. Das Gelesene ist also kein repräsentatives Abbild der Wirklichkeit, sondern ein Ausschnitt daraus, mit Fokus auf Probleme und Krisen. Diese Faszination für die Katastrophe ist vermutlich so alt wie die Menschen selbst.

Das Gute und Schöne suchen – und keine Angst vor Kitsch:

Was haben die Menschen in den wirklich schlechten Zeiten gemacht, etwa nach dem verschuldeten und verlorenen 2. Weltkrieg? Sie haben sich in eine Traumwelt geflüchtet, mit Förstern im Silberwald und jungen Kaiserinnen. Wir schauen heute darauf hinab, doch die Strategie bleibt richtig. Sich gezielt mit schönen Geschichten zu umgeben, hilft.

Es muss nicht gleich eine kitschige Liebesromanze sein, auch mal eine gute Nachricht anzuklicken hilft. Die gibt es nämlich tatsächlich.

Kitsch up your life: Ein bisschen heile Welt kann gut für die Psyche sein. Bild von Jiří auf Pixabay.

Keine schlechten Nachrichten vor dem Schlafen

Abends sollten Nachrichten-Apps geschlossen bleiben, egal von welchem Anbieter. Zu viel Aufregung ist nämlich gar nicht gut für den Schlaf. Im schlimmsten Fall träumt man von Krieg und Katastrophen – oder schläft gar nicht.

Wenn nichts mehr hilft: den Stecker ziehen

Wie erwähnt, halten sich immer mehr Menschen ganz von Medienangeboten fern. Das mag verschiedene Gründe haben und auch mit der sinkenden Qualität zu tun haben, kann aber auch eine Strategie gegen den täglichen Weltuntergang sein. Wenn nichts anders mehr hilft, dann darf auch diese Möglichkeit kein Tabu sein.

  1. Sharma, Bhakti; Lee, Susanna und Johnson, Benjamin: The Dark at the End of the Tunnel: Doomscrolling on Social Media Newsfeeds in Technology, Mind and Behavoir: Technology in a Time of Social Distancing. Volume 3, Issue 1, Camebridge (MA) 2022, DOI: 10.1037/tmb0000059

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